In den letzten Tagen solidarisieren sich weltweit Menschen mit den Frauen im Iran. Warum ist das so, warum reicht das nicht und was hat das mit uns zu tun?

Nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die wegen eines „falsch“ getragenen Kopftuches im Polizeigewahrsam (vermeintlich) zu Tode geprügelt wurde, fordern im Iran immer mehr Menschen Aufklärung. Die seit der islamischen Revolution im Jahr 1979 geltenden strengen Kleidungsvorschriften schreiben Frauen vor, ihr Haar zu bedecken und gehören laut Experten zu den ideologischen Prinzipien der islamischen Republik. Um die Durchsetzung der strengen Regeln zu gewährleisten, setzt die Regierung eine Moral- bzw. Sittenpolizei ein. Deren Vorgehen ist seit Bestehen äußerst brutal und menschenrechtsverletzend. Bereits in den 80er-Jahren wurden Beschuldigte (wie z.B. der Vater unserer Mitarbeiterin Sahar) zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt und bei der Inhaftierung gefoltert. Das hat sich bis heute nicht geändert, vor allem Frauen werden dabei besonders hart bestraft. 

Gegen die derzeitigen Demonstrantinnen geht das Regime mit äußerster Gewalt vor. Nicht ohne Grund, denn es geht um viel mehr als die Gepflogenheiten der Sittenpolizei und das Thema Kopftuchzwang. In den wenigen Videos, die es in die sozialen Medien schaffen, stehen auch junge Männer an der Seite dieser mutigen Frauen. 

Gegen ein immer repressiveres Regime, die Wirtschaftskrise, fehlende Minderheitenrechte. Sie fordern nicht nur einzelne Reformen – auf den Straßen wird ganz offen die Systemfrage gestellt.

Im Iran ist das Internet mittlerweile weitgehend abgeschaltet, um die Bilder der Proteste nicht nach außen dringen zu lassen. Sahars Mutter, die sich derzeit dort aufhält, berichtet, dass die Menschen nicht mehr online gehen können und damit die Kommunikation stark erschwert wird. Neben großflächigen Ausfällen bei WhatsApp und Instagram sind Facebook, Telegram, Twitter und YouTube im Iran jetzt blockiert. Seit das Regime das Internet abgeschaltet hat, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass die Welt nicht mehr sieht, was im Iran passiert und vergisst. Dieses Vorgehen hat System. Bisher ist es der Regierung so gut wie immer gelungen, die Proteste langfristig zu unterwerfen. 

Deswegen ist die Thematisierung einer der wichtigsten Aspekte bei Solidarisierung – in diesem Fall der Polizeigewalt und Unterdrückung der iranischen Frauen. 

Als George Floyd 2020 von einem Polizisten zu Tode erstickt wurde, entzündete sich – zu recht – eine weltweite Debatte. Allein in Deutschland gingen Zehntausende Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt auf die Straße, in München rund 20.000. 

Alle 4 Sekunden verhungert ein Mensch trotzdem erfährt dieses Thema aktuell kaum Beachtung. Und wer weiß schon, wie es um die Menschen im Jemen steht? Oder ob die von Boko Haram entführten nigerianischen Kinder wieder aufgetaucht sind? Und welche Konsequenzen ziehen wir eigentlich daraus, dass für die WM in Katar nach Schätzungen von Amnesty International auf den Baustellen der Stadien ca. 15.000 Menschen gestorben sind? – also 230 Tote je WM-Spiel.

Unsere individuelle Kapazität der Aufmerksamkeit für nicht unmittelbar eine/n selbst betreffendes Leid und Ungerechtigkeit ist erstaunlich gering. Das Hamsterrad des Alltags sorgt dafür, dass wir meist schon genug mit den eigenen Sorgen beschäftigt sind und von Woche zu Woche hetzen. Auch erliegt man zu schnell dem Whataboutismus, also der Relativierung des einen Themas durch ein anderes. 

Und dennoch führt uns jede Ungerechtigkeit, jedes Leid und jede Missachtung von Leben immer wieder auch universelle Prinzipien der Menschlichkeit vor Augen – lasst uns nicht vergessen, dass in vielen Teilen der Welt Frauen systematisch unterdrückt und ihrer Freiheit beraubt werden. Frauenrechte sind Menschenrechte!
#Mahsa_Amini 

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