Autos zu Pflugscharen

In Deutschland wird der Trend zum Urban Gardening oft als alternativer Zeitvertreib für luxusverwöhnte Großstädter, die ihren Kindern endlich zeigen wollen, dass Bohnen gewöhnlich ohne Plastikhülle und Strichcode geerntet werden, herabgespielt. Stadtgärtner in Detroit im US-Bundesstaat Michigan kämpfen allerdings mit ganz anderen Problemen: für Einwohner der ehemaligen Hauptstadt der amerikanischen Automobilindustrie sind gefüllte Supermarktregale voll mit frischem Obst und Gemüse nicht mehr selbstverständlich. Seit mit der Automobilindustrie auch die Arbeitsplätze verschwunden sind, verwahrlosen verlassene Industrieanlagen, öffentliche Gebäude und ehemalige Wohnviertel. Mit dem Abzug zahlungskräftiger Kunden haben auch die meisten Supermarktketten den wenig profitablen Standort Detroit aufgegeben und hinterlassen eine beträchtliche Versorgungslücke, vor allem beim Angebot von frischem Obst und Gemüse. Was bleibt Menschen in der „Food Desert“ anderes übrig als zu ungesunden Fertigprodukten zu greifen? Die Rechnung dafür zahlt jeder selbst: einseitige Ernährung, Fettleibigkeit, Diabetes.

Doch anstatt den Kopf in den Boden zu stecken sind die Bewohner der Stadtviertel dazu übergegangen eben diesen zu bestellen. Insgesamt werden auf der Stadtfläche Detroits mittlerweile 170 Tonnen Lebensmittel produziert. Im besten Fall könnten dadurch 75 Prozent des Gemüsebedarfs und 40 Prozent des Obstbedarfs gedeckt werden. Non-Profit Organisationen, Kirchen und Privatpersonen haben leer stehende Grundstücke zu Stadtgärtnereien umgewandelt. Mit der Rückkehr zur Eigenproduktion entstehen neue, kleinteilige Wirtschaftssysteme, die meistens auf Basis ehrenamtlichen Engagements organisiert werden. Die neuen Kleinstunternehmen verbessern nicht nur die Versorgungssituation in Ihrer Umgebung, vielmehr bringen sie die Bewohner der Stadtviertel zusammen und fördern den sozialen Zusammenhalt. Gemeinsam werden soziale Probleme, von denen es in Detroit eine Menge gibt, in Angriff genommen. Den wenigsten der engagierten Bürger geht es darum Profit zu machen. Sorgen wegen der gegenwärtigen Situation und die Begeisterung sich für eine Lösung einzusetzen sind die stärksten Motivatoren. Genau diese Motivation kennt man Ron Finley an, der aus erster Hand von ähnlichen Problemen, vor allem aber Lösungsansätzen in Los Angeles erzählt: http://embed.ted.com/talks/lang/de/ron_finley_a_guerilla_gardener_in_south_central_la.html . In Detroit sind 185 Organisationen im Bereich der Lebensmittel-Eigenversorgung tätig und es werden ständig mehr. Die meisten von ihnen arbeiten als Sozialunternehmen und übernehmen neben dem Anbau von Obst und Gemüse auch noch weitere Aufgaben, indem sie neue Stadtgärtner ausbilden, Kindern den Umgang mit gesunder Nahrung vermitteln und Obdachlose mit Mahlzeiten versorgen. Die Zeitschrift „Enorm“ widmet dem Thema in der Ausgabe April/Mai mehrere Seiten und auch die Zeit Online verfolgt die Detroiter Entwicklung mit großem Interesse (http://www.zeit.de/lebensart/2011-04/detroit). Allerdings müssen die Probleme nicht erst Detroiter Dimension annehmen um etwas ändern zu können. Auch in Deutschland haben bereits viele Initiativen der Lebensmittelentfremdung den Kampf angesagt. Auf http://www.anstiftung-ertomis.de/opencms/opencms/urbane_landw/links_blogs_foren.html kann jeder selbst nach Initiativen in der eigenen Umgebung suchen. Offensichtlich geht die Detroiter Saat bereits auch an anderen Orten auf.

 

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