Sie teilen den Gemüseertrag, aber auch das Ausfallrisiko: Solidarische Landwirtschaften sind in Deutschland immer mehr im Kommen. Ihre Mitglieder wollen wieder eine Beziehung zu ihrem Essen haben. Mit dem Kartoffelkombinat kommt der Trend nach München.

Zwei Kilo Kartoffeln, 1,2 Kilo Zwiebeln, 1,2 Kilo Karotten sollen es werden. Susanne schaut auf die Waage vor ihr, greift rechts neben sich, links neben sich und legt alles in die Waagschale. Eingepackt in einen langen schwarzen Daunenmantel, unter dem eine blaue Gärtnerschürze hervor lugt, steht die 54-Jährige im ausgekühlten Hofladen der Gärtnerei Klein. Mit ihren von der Erde verdreckten Händen rafft sie das Gemüse zusammen und legt es in eine der 85 grünen Plastikkisten, die sie heute gemeinsam mit der Studentin Anna packen muss. Noch Sellerie und Sauerkraut dazu, von Anna kommen rote und gelbe Beete, Postelein und Schnittlauch. Dann ist die Kiste der Woche fertig gepackt  und kommt auf den Stapel der abholbereiten Ernteanteile.

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Susanne und Anna stehen zweimal pro Woche hier im Laden und füllen kistenweise Gemüse ab, genau abgewogen und gerecht verteilt. Beide sind Genossinnen im Kartoffelkombinat: einer solidarischen Landwirtschaft, die im Mai 2012 ins Leben gerufen wurde.

Das Kartoffelkombinat ist erst die zweite Initiative dieser Art in München, doch deutschlandweit hat sich das Konzept in den vergangenen Jahren stark verbreitet. 2007 gab es nur neun Höfe und Initiativen – insgesamt.

Heute bieten 31 Höfe und Gärtnereien und 33 Initiativen die Möglichkeit, sich am Betrieb zu beteiligen und dafür Ernteanteile zu bekommen. Der Anstieg zeigt: Der Ansatz trifft den Nerv der Zeit.

Packpause. Bei Tee und Gebäck wärmen sich Susanne und Anna in der Küche der Gärtnerei auf. Seit September übernimmt Susanne das Kistenpacken für das Kartoffelkombinat. Ihr Bekannter Daniel Überall, einer der Gründer der Genossenschaft, hatte ihr vor einem Jahr an ihrem  Gartentor von seinem neuen Projekt erzählt – für Susanne der erste Kontakt mit solidarischer Landwirtschaft. Nach einiger Recherche war sie von dem Plan begeistert. „Mir wurde erst da bewusst, dass der Landwirt im vor hinein produziert und erst auf dem Markt erfährt, ob seine Arbeit die Mühe wert war“, erinnert sich Susanne. „Die Idee der Gemeinsamkeit finde ich toll und dass der Bauer dadurch in finanzieller Sicherheit anbauen kann.“ Auch dass sich das Kombinat auf Gemüse aus der Region und je nach Saison beschränkt, gefällt ihr. Entschieden sagt sie: „Ich kaufe nichts, was Flugmeilen auf dem Buckel hat.“ Beim Kartoffelkombinat weiß sie, woher ihr Gemüse kommt. Sie selbst kniete schon mit Gärtner Sigi über dem feuchten Feldsalat, mit nackten Händen im Winter. „Hier wird hart gearbeitet“, weiß sie heute – und ist sich dessen bewusst.

„Bei uns bist du kein Kunde“
Für Daniel Überall ist das einer der Erfolgsfaktoren des Kartoffelkombinats. „Wenn du im Supermarkt Paprika kaufst, weißt du nichts darüber. Bei unserem Paprika weißt du alles – wo er gewachsen ist, wer ihn angebaut hat.“ Die Transparenz des gläsernen Betriebs, bei dem man jederzeit vorbeifahren kann und den Gärtner persönlich kennt, wüssten die Genossen zu schätzen. Ebenso die Tatsache, dass keine Lebensmittel verschwendet werden: „Ob krumm, schief, nicht durchgängig gefärbt – wir schmeißen nichts weg.“ Was wächst, kommt in die Kiste, so wie man es auch bei Gemüse aus dem eigenen Garten machen würde. „Der Unterschied zu Bio-Kisten ist, dass du bei uns kein Kunde bist. Du zahlst nicht für ein Kilo Tomaten oder ein Gurke, sondern beteiligst dich an den Gesamtkosten.“  Als würde man im eigenen Garten anbauen und ernten und essen, was reif ist. Dafür sind die Mitglieder bereit, sich mit 62 Euro pro Monat zu beteiligen. Mithilfe ist gerne gesehen, aber keine Pflicht.

200 Haushalte beliefert das Kombinat zurzeit. Weitere 250 stehen auf der Warteliste. Mit diesem Erfolg hatten weder Daniel Überall noch sein Partner Simon Scholl gerechnet, als sie sich im Winter 2011 für die Gründung einer solidarischen Landwirtschaft entschieden. Warum ausgerechnet dieses Projekt? „Es ist die deutlichste Form, um sich vom klassischen kapitalistischen System mit Preis- und Lohndumping, Lebensmittelverschwendung und der Zerstörung des ökologischen Systems abzugrenzen“, sagt Überall. Nicht etwas gegen das System, sondern etwas Konstruktives daneben wollten sie schaffen und machten sich auf die Suche nach einer geeigneten Gärtnerei. Die fanden sie im Betrieb von Sigi Klein.

Im Mai starteten sie eine Testphase mit Familie und Freunden. „Wir wollten mit 15, 20 Kisten beginnen, aber jeder holte noch jemanden dazu. So waren es gleich 40“, erzählt Überall. Und es ging Woche für Woche so weiter: „Schnell waren wir 60, dann 80, dann 100.“ Die beiden Mittdreißiger, einer Kommunikationswirt, einer gelernter Betriebswirt, hatten anfangs mit 10 zusätzlichen Haushalten pro Monat gerechnet. „Schließlich ist eine regionale und saisonale Versorgung eine große Herausforderung für jemanden, der sich bislang aus dem Tengelman versorgt hat.“ Nichtsdestotrotz kommen immer noch drei bis fünf Anfragen pro Tag.

Landwirte und Verbraucher suchen Sicherheit
Viele Münchner hören mit dem Kartoffelkombinat zum ersten Mal von sozialer Landwirtschaft, dabei ist das Konzept nicht neu, weiß Katharina Kraiß, Koordinatorin im Netzwerk Solidarische Landwirtschaft. „Die Idee hat sich seit den 80er Jahren in verschiedenen Teilen der Welt wie Frankreich, USA oder Japan unabhängig voneinander entwickelt.“ In Deutschland entstand die erste Wirtschaftsgemeinschaft 1989. Damals seien vor allem die Sorge um Lebensmittelsicherheit und die Erkenntnis, dass die Verantwortung für die Landwirtschaft eine gesellschaftliche ist, der Anstoß gewesen. Auch für den deutlichen Anstieg in den letzen fünf Jahren kennt die Expertin die Gründe: „Nach den Lebensmittelskandalen suchen die Verbraucher stärker nach Transparenz, Qualität und Regionalität, auf der Landwirtschaftsseite steigt der Existenzdruck.“ Soldarische Landwirtschaften bieten Mitgliedern wie auch Produzenten mehr Sicherheit.

Für Daniel Überall und Simon Scholl ist das nicht genug. Sie haben Pläne mit dem Kartoffelkombinat, wollen, dass aus der Genossenschaft noch mehr eine Gemeinschaft wird, die sich über die Gemüselieferung hinaus kennt, hilft, engagiert. Sie wollen Kurse und Workshops über Gärtnern, Imkern und Einmachen einführen, an denen sich jeder beteiligen und so vom Können der anderen profitieren kann. Bis es soweit ist, steht weiter das Gemüse im Vordergrund.

Wie für Susanne und Anna. Nach der kurzen Kaffepause stehen die Genossinnen wieder fokussiert vor ihren Waagen. 35 Kisten sind schon befüllt, 50 müssen sie noch packen. Doch das machen sie gerne – auch trotz der Kälte. „Das hier ist ein guter Ort“, sagt Susanne lächelnd. Beide fühlen sich angekommen – in der Gemeinschaft des Kartoffelkombinats.

die erste Ernte

Anmerkung: Dieser Text entstand als Übungsfeature der Jungjournalistin Dagmar Bartosch, wir fanden ihn einfach zu toll, um in nicht irgendwo veröffentlicht zu sehen – darum haben wir das kurzer Hand übernommen 🙂

Eine Antwort

  1. An dieser Stelle möchte ich den beiden fleißigen Packlieschen meinen Dank für ihre tolle Arbeit aussprechen. Vielen, vielen Dank ! :-))

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