Der regulatorische Abstand

In der letzten Kartoffelakademie sprach Karl Bär vom Umweltinstitut München über den Regulatorischen Abstand. Was im ersten Moment verdächtig nach „eine Armlänge“ klingt, ist jedoch ein wirklich interessanter Umstand, der eines der Hauptprobleme von TTIP darstellt.

In den Medien wird im Zusammenhang mit dem Freihandelsabkommen gerne exemplarisch das Chlorhühnchen durchs Dorf getrieben. Doch als Bio-KäuferInnen und ggf. Nicht-Huhn-EsserInnen ist man gerne verleitet, sich von derlei chemisch keimfrei gewaschenen Fleischstücken nicht den Appetit verderben zu lassen. Hat ja nichts mit einem selbst zu tun und von tierethischen Aspekten abgesehen, ist es letztlich das Problem von Billigfleischkäufern, oder? Nein, ist es nicht.

Schauen wir uns hierzu das System der Lebensmittelerzeugung an (ist aber in anderen Branchen analog): Die unterste Qualitätsgrenze stellen die rechtlichen Mindestanforderungen dar, welche konkret definiert sind. Dann folgt ein weites Feld, in dem sich die zahlreichen konventionellen Marken tummeln und in dem jeder Hersteller eigene Qualitätskriterien für sich formulieren kann. Zusätzlich gibt es EG-Bio, mit ebenfalls klar festgelegten Kriterien und darüber kommen die Anbauverbände wie Naturland, Bioland oder demeter. Darüber hinaus können noch regionale und/oder saisonale Aspekte eine Rolle spielen. Allgemein kann davon ausgegangen werden, dass eine bessere Qualität das Ergebnis von höherem Aufwand in der Erzeugung ist. D.h. je weiter man auf der Qualitätsskala nach oben kommt, desto teurer werden die Produkte.

regulatorischer Abstand

Regulierte Erzeugung – hinzu kommen z.B. noch Regionalität und/oder Saisonalität

Die rechtlichen Definitionen, die wie gesagt zum einen die Mindestkriterien und zum anderen die Bio-Level regulieren, sind aber nicht in Stein gemeißelt. Derjenige konventionelle Hersteller, der sich unten gerade noch am legalen Limit bewegt, kann am billigsten produzieren und hat ein großes Interesse an einer Deregulierung dieser rechtlichen Bedingungen, um noch billiger zu erzeugen. So weit, so klar – zurück zum Chlorhuhn: Wenn ich am Ende mein Fleisch keimfrei im Desinfektionsbad waschen darf, kann ich in den vorgelagerten Prozessen weniger Wert auf Hygiene und Sorgfalt legen. Ergo wird die Produktion billiger. Der Abstand vom untersten Limit zu den nächsten Levels wird dadurch größer. Je weiter nun die Preise für konventionelle Produkte von deren Bio-Varianten entfernt sind, desto geringer wird im Gegenzug die Bereitschaft „des Konsumenten“ den hohen Mehrpreis für Biolebensmittel zu bezahlen.

Diesen regulatorischen Abstand möchte die Industrie, die EU und die USA so groß wie möglich haben bzw. die rechtliche Grenze nach unten verschieben – da ist man sich einig. Und schon ist das Chlorhuhn auch ein Problem für alle, die sowas zwar nicht essen, sich aber generell den Ausbau von Ökolandbau, faire Arbeitsbedingungen verantwortungsbewusste Unternehmen wünschen. Insoweit hat die IHK Bayern (Zitat: „Die Verhandlungen dürfen nicht zu früh von wirtschaftsfremden Themen, wie z.B. vom Verbraucherschutz, überlagert werden.“) schon Recht – es geht um viel mehr als nur um Chlorhühner.

Breites Bündnis aus Bayern fordert: „TTIP und CETA stoppen! – Für einen gerechten Welthandel!“

Aufruf zur Großdemonstration am 10. Oktober in Berlin

Ein breites Bündnis aus Bayern, bestehend aus Gewerkschaften, Umweltorganisationen, Nord-Süd-Initiativen, kirchlichen Organisationen und Bürgerrechtsorganisationen, hat heute in München zur Teilnahme an einer bundesweiten Großdemonstration am 10. Oktober in Berlin gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA aufgerufen. Auch Parteien und Jugendorganisationen der Parteien unterstützen den Aufruf unter dem Motto „TTIP und CETA stoppen! – Für einen gerechten Welthandel!“.

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Foto: Christof Stache

Auf dem Münchner Marienplatz haben Vertreterinnen und Vertreter der Organisationen vor einer großen Plakatwand mit dem Logo der Großdemonstration die Gründe für ihre Ablehnung der Freihandelsabkommen erläutert. Das Bündnis tritt gemeinsam für eine Handels- und Investitionspolitik ein, die auf hohen ökologischen und sozialen Standards beruht und nachhaltige Entwicklung in allen Ländern fördert.

Matthias Jena, Vorsitzender des DGB Bayern: „Die Gewerkschaften treten für einen fairen Welthandel und eine gerechte Globalisierung ein. Wir wollen eine Verbesserung von Arbeitnehmerrechten und Sozialstandards, damit die Beschäftigten vom Wachstum der Weltwirtschaft profitieren. Deshalb ist es falsch, wenn TTIP und CETA nur auf Wettbewerb und Deregulierung setzen. Mit diesen Freihandelsabkommen sollen Mitbestimmungsrechte ausgehöhlt und der Arbeitsschutz geschleift werden. Das wollen wir verhindern.“

Richard Mergner, Landesbeauftragter des BUND Naturschutz in Bayern e.V.: „Aktuell liegt der Vertragstext für CETA in englischer Sprache vor, aus dem hervorgeht, dass Genehmigungsverfahren für Biotechnologien gefördert werden sollen. Wir erwarten von der CSU und der SPD, dass es bei einer klaren Ablehnung des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen bleibt. Nach dem jetzigen Entwurf von CETA droht die Gentechnik durch die Hintertür auf unsere Äcker zu gelangen. Deshalb fordern wir gerade die CSU auf, CETA nicht zu ratifizieren und die TTIP Verhandlungen abzubrechen. Mit einem großen zivilgesellschaftlichen Bündnis fahren wir am 10.10.2015 zur Großdemonstration nach Berlin, um die errungenen Umwelt- und Verbraucherschutzstandards zu verteidigen.“

Horst Bokelmann, Vorsitzender Aufsichtsrat Kartoffelkombinat eG: „Das Kartoffelkombinat beteiligt sich an der Demonstration, weil TTIP die Macht der großen Saatgutkonzerne und die großindustrielle Landwirtschaft weiter verstärken wird. Davon sind wir auch in der Region München betroffen: Unsere Biodiversität, die bäuerliche und ökologische Landwirtschaft sowie allgemein die Qualität unserer Lebensmittel wird darunter leiden.“

Zur Großdemonstration am 10. Oktober in Berlin werden auch Tausende Menschen aus Bayern erwartet. Ab München wird ein Sonderzug über Landshut, Regensburg und Nürnberg nach Berlin fahren. Mehr als die Hälfte der 800 Fahrkarten sind bereits vergeben. Daneben werden Busse aus zahlreichen Orten in Bayern organisiert.

An der Aktion beteiligte Organisationen:
DGB Bayern mit seinen Mitgliedsgewerkschaften, Der Paritätische Bayern, Umweltinstitut München, Bündnis Stop TTIP München, BUND Naturschutz in Bayern, Commit to Partnership, Mehr Demokratie Bayern, NaturFreunde Bayern, KAB, Kartoffelkombinat, Jugend des Deutschen Alpenvereins (JDAV), Jugendorganisation BUND Naturschutz, Attac München, Action Freedom

TTIP, CETA & Co – empört Euch, jetzt!

Über Sinn und Notwendigkeit von Freihandelsabkommen kann trefflich debattiert werden, die aktuellen Bestrebungen im Rahmen von TTIP, CETA & Co sind aber hinsichtlich Vorgehen und Transparenz undemokratisch und mindestens was die geplanten, nichtöffentlichen Schiedsgerichte und mögliche Schadensersatzforderungen bei angeblicher Marktbehinderung betrifft, abzulehnen.

Darum möchten wir der Bitte von Jürgen, eines unserer Genossenschaftsmitglieder, nachkommen und Euch die Möglichkeit geben, selbst aktiv zu werden:

In den letzten Wochen und Monaten wurde immer mehr bekannt über TTIP und CETA. Doch wenn man dachte, das ist schlimm: Es geht noch schlimmer!
 
CETA wird verhandelt zwischen der EU und Kanada, TTIP zischen den USA und der EU. TiSA – Trade in Services Agreement, also ein Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen, wird verhandelt zwischen insgesamt 50 Nationen, die fast zwei Drittel des globalen Handels mit Dienstleistungen erbringen.
 
Undurchsichtig und undemokratischDie Verhandlungen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die USA hatte gefordert, dass von ihr gestellte Forderungen 5 Jahre geheim gehalten werden müssen, egal ob das Abkommen zustande kommt oder nicht. Es wurde berichtet, dass die Verhandlungspapiere frühestens fünf Jahre nach Abschluss des Vertrags an die Öffentlichkeit kommen sollen, wie in den als vertraulich markierten Papieren zu lesen sei.
 
Die Emissäre der 50 Nationen nennen sich really good friends of services. Diese  wirklich guten Freunde treffen sich nicht in Gebäuden der Welthandelsorganisation in Genf wie sonst bei solchen Gesprächen, sondern in der abgeriegelten australischen Vertretung.
 
Das klingt schon mal nicht gut. Und tatsächlich weiß man nicht so ganz genau, was derzeit hinter geschlossenen Türen eigentlich so genau verhandelt wird. Aber es scheint gut voranzugehen. Die Grundzüge für ein solches Vertragswerk seien inzwischen vereinbart, sagte US-Handelsrepräsentant Michael Froman im Juni 2014. In dieser Heimeligkeit lässt es sich unter wirklich guten Freunden halt auch gut verhandeln, wenn die Öffentlichkeit erst einmal langsam von TTIP Kenntnis erlangt und dann noch etwas von CETA aufgerüttelt wird, vom größten Supergau jedoch überhaupt nichts mitbekommt.
 
Nach dem, was man weiß, ist das Abkommen darauf ausgerichtet, die Gesundheits-, Wasser- und Energieversorgung, die Bildung, die Leiharbeit und  – trotz der nicht lange zurückliegenden und eigentlich alles andere als beendeten Finanzkrise – den Finanzsektor zu deregulieren. Den größten Druck machen wohl wieder einmal die Amerikaner.
 
Und das, was dort verhandelt wird, soll wohl bestenfalls noch mit einer „Ratchet Clause“ für alle Ewigkeit zementiert werden: Mit der sogenannten Stillhalteklausel können Staaten die Liberalisierung der genannten Sektoren nicht wieder regulieren. Übersetzt: Der Prozess der Liberalisierung ist nicht wieder rückgängig zu machen. Dazu zwei Beispiele:
 
In den vergangenen Jahren haben Stadtkämmerer ihr Tafelsilber verkauft, als z.B. Wasserwerke, Stadtwerke etc. privatisiert. Da die Bürger festgestellt haben, dass dies erhebliche negative Auswirkungen wie teils drastische Preissteigerung bei gleichzeitiger Verschlechterung der Leistung hatte, weil private Investoren vor allem eines wollten, nämlich Geld verdienen, gibt es zahlreiche Initiativen, bei denen diese Versorgungsunternehmen wieder zurückgekauft werden. Das wäre dann überhaupt nicht mehr möglich! Konzerne hätten das Sagen, auch über unser lebenswichtigstes Gut – unser Wasser!
 
Im Bereich der Leiharbeit würde eine derartige Liberalisierung die geltenden Arbeits- und Sozialrechte weitgehend wegfegen. Wollen wir wirklich bei uns Zustände wie auf WM-Baustellen in Katar oder chinesische Textilarbeitssklaven wie in Italien bereits Realität?
 
Wenn man sich vorstellt, dass staatliche Aufgabe maßgeblich die Daseinsvorsorge ist, fragt man sich, wieso unsere Politiker drauf und dran sind, diese abzuschaffen – und damit im Ergebnis auch sich selbst. Der Staat hätte in vielen Bereichen schlichtweg nichts mehr zu melden. Der Kampf gegen TiSA und die Freihandelsabkommen ist damit nichts weniger als der Kampf für den Erhalt der Demokratie.
 
Daher bitte ich Euch, die Abgeordneten der nationalen Parlamente und des Europarlaments anzuschreiben. Im Endeffekt müssen diese von den Bürgern mit Eingaben noch mehr zugeschüttet werden, als es die Lobbygruppen machen und zwar so lange, bis den Politikern klar wird, dass sie für uns Bürger da sind und nicht für Konzerne.

 

Macht dies per Post, per Fax und per E-Mail.
 
In diesem Fall halte ich den Brief für das Mittel der Wahl. Der lässt sich nicht so leicht ignorieren. Ich habe den Entwurf eines Schreibens als Formulierungsanregung in der Anlage beigefügt. Zudem findet Ihr in der Anlage eine Liste der Abgeordneten des Europaparlaments und des Deutschen Bundestags. Leitet das an so viele wie möglich weiter, ggf. auch übersetzte Versionen an Bekannte in anderen Ländern, die über TiSA verhandeln. In der Anlage findet Ihr weiterführende Informationen hierzu. Das Dokument könnt Ihr in anderen Sprachen als PDF finden auf:
http://www.world-psi.org/en/psi-special-report-tisa-versus-public-services
 
Ich finde es großartig, wenn ich sehe, wie immer mehr Menschen sich dagegen erheben und eine breite politische Bewegung entsteht. Wir müssen fordern, dass derartige Verhandlungen in der Öffentlichkeit geführt und alle Dokumente offen gelegt werden. Seid Teil einer Demokratiebewegung und empört Euch!

Liste aller Abgeordneten  |  Briefentwurf  |  TiSA Info-PDF